Thürnlhofstraße 20-24
Thürnlhofstraße 20-24
Thürnlhofstraße 20-24, 1110 WienBaujahr: 1971-1972
Wohnungen: 621
Architekt: Eugenie Pippal-Kottnig, Ernst Lederer-Ponzer, Friedrich Holey, Friedrich Weinkopf, Edgar Göth, Harald Scheidl, Adolf Svancar, Günther Ludwig, Rudolf Angelides, Walter Hübner, Ludwig Hammerschmid, Kurt Neugebauer, Richard Praun
Weitere Adressen
Bockbergergasse 1-3, 1110 Wien
Widholzgasse 1, 1110 Wien
Herretweg 4-6, 1110 Wien
Wohnen in Wien
In den 1960er-Jahren nahm der Wohnbau in Wien bis hin zum Wohnungsbauboom der 1970er-Jahre kontinuierlich zu. Die Grundlage dafür bildeten 1961 ein städtebauliches Konzept und ein Generalverkehrsplan von Roland Rainer. Der geplante U-Bahn-Bau sowie die Erschließung bisheriger Randgebiete nördlich der Donau förderten diese Entwicklung. Besonders am südlichen und östlichen Stadtrand gab es Grundstücke zu günstigen Preisen, auf denen neue große Wohnviertel geschaffen wurden. Die neue Fertigteilbauweise mit vorgefertigten Betonelementen erlaubte es, in kurzer Zeit ganze Stadtteile neu zu errichten.
Geschichte
Die Wohnhausanlage Thürnlhofstraße 20-24 ist der zweite der vier Bauteile der Plattenbausiedlung "Thürnlhofstraße". Die gesamte Anlage wurde innerhalb von fünf Jahren auf vormals landwirtschaftlich genutzten Flächen errichtet und schafft Wohnraum für ca. 6.800 Einwohner.
Die Architektur
Die Wohnhausanlage zählt zur zweiten Generation der Wiener Plattenbausiedlungen. Bedingt durch die stärker werdende Kritik an der freistehenden Zeilenbebauung der ersten Generation wurde nunmehr versucht, an das traditionelle Wiener Modell der Hofbebauung anzuschließen, und daher schloss man die orthogonal stehenden Scheibenbauten zu einer hofbildenden Bebauung zusammen. Darüber hinaus zeichnet sich die zweite Phase des Wiener Plattenbaus durch die Abkehr von den ausschließlich vier- und neungeschoßigen Wohnbauten aus. Davon versprach man sich mehr Variabilität.Die Siedlung besteht aus insgesamt 16 turmähnlichen Häusern, die zu sechs Gebäudegruppen zusammengefasst sind, und unterscheidet sich daher augenscheinlich von der Bebauungsform der in den Jahren davor errichteten Wiener Plattenbauten. Es wurden drei verschiedene Haustypen verwendet, die auch beim dritten (Pantucekgasse 9 - 11) und vierten Bauteil (Pantucekgasse 33) zur Ausführung gelangten. Gemein haben alle drei Haustypen die zentrale Erschließung sowie die radiale Anordnung von vier Wohnungen je Geschoß. Jede Wohnung der sieben- bis elfgeschoßigen Wohnhäuser verfügt über eine Loggia. Durch die Vorlagerung der Loggien vor die Wohnungen entstanden Risalite, die zusätzlich zur turmartigen Bebauung die Vertikalisierung des Gebäudes unterstützen. Die Wohngebäude sind allesamt unterkellert, wobei der Keller ein halbes Geschoß aus dem Terrain ragt, was wiederum die - auch farblich abgesetzte - Sockelzone bildet. Durch die bereits durchgeführte thermische Sanierung sind sowohl die für die Fertigteilbauweise typische Fassadenrasterung als auch die verwendeten, teils verschiedenen Oberflächenmaterialien nicht mehr sichtbar.
... und die Kunst
Im Zentrum der Wohnhausanlage, entlang des Verbindungsweges zwischen Widholzgasse und Herretweg, befinden sich zwei künstlerische Werke. Carl Unger gestaltete westlich der Stiege 16 eine Wand mit dem Titel "Abstrakte Gestaltung". Der Bildhauer Arnulf Neuwirth schuf im Bereich der Stiege 4 die Natursteinskulptur "Kyklopenmauerwerk". Bei der Schule, nahe der Adresse Miltnerweg 9, Stiege 4, befindet sich die Plastik "Rat der Alten" von Franz Xaver Hauser aus dem Jahr 1973. Unweit der Straßenbahnstation "Pantucekgasse" der Linie 71 steht die Metallplastik "Aggression", die der Künstler Karl Anton Wolf 1972 gestaltete.
Der Name
Die Wohnhausanlage trägt den Namen der im Westen angrenzenden Straße. Seit 1920 wird die Straße nach dem Thürnlhof in Kaiserebersdorf, Münnichplatz 5, bezeichnet. Im Jahr 1552 schenkte Kaiser Ferdinand I. seinem Unterkoch Michael Pfeiffer zu seinem Haus zusätzlich noch "zwei öde Thürnln" (Türme), mit welchen Pfeiffer sein Anwesen zu einem Herrenhaus ausbaute und die damit Namensgeber des Hofes wurden. Im Thürnlhof verbrachte u. a. Napoleon die Nacht vor der Schlacht bei Aspern. Nach diversen Besitzer- und Funktionswechseln wird der Hof gegenwärtig als Restaurant verwendet.
Architekten
Eugenie Pippal-Kottnig - Eugenie Pippal-Kottnig (geb. 1921 in der UdSSR, Anscher Grube, gest. 1998 in Wien) studierte von 1935 bis 1939 Architektur an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Otto Niedermoser und Franz Schuster. 1943 heiratete sie den Maler Hans Robert Pippal. Einer ihrer ersten bedeutenden Aufträge war die Illustration für das "Österreichbuch" (Hrsg. Ernst Marboe, 1948). In den 1950er-Jahren war sie an der Planung mehrerer Wohnhäuser für die Gemeinde Wien beteiligt. Pippal-Kottnig war auch als Designerin von Inneneinrichtungen und Möbelstücken tätig und arbeitete an zahlreichen künstlerischen Ausführungen ihres Mannes mit, wie etwa an den Mosaiken für die Oktogone im Foyer des 2. Ranges des Burgtheaters (1955).
Ernst Lederer-Ponzer - Der in Brünn (Tschechien) geborene Ernst Lederer-Ponzer (1909-2003) war bereits als Architekt tätig, als er sich 1946 bei Erich Boltenstern und Emil Pirchan an der Akademie der bildenden Künste Wien als Student einschrieb. Für die Gemeinde Wien war er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Errichtung mehrerer Wohnhausanlagen beteiligt. Eigenständig plante Ernst Lederer-Ponzer unter anderem die Wohnhäuser Ziegelofengasse 24-26 in Wien 5 (1980/81) und Clementinengasse 3 in Wien 15 (1979/80).
Friedrich Holey - Friedrich Holey (geb. 1932) studierte von 1951 bis 1954 bei Clemens Holzmeister an der Akademie der bildenden Künste Wien. Im Anschluss war er sieben Jahre lang im Büro von Norbert Schlesinger tätig, bevor er sich 1961 als Architekt selbständig machte. Zu seinen Aufgabenbereichen gehörten vor allem der Wohn- und Gewerbebau, wie etwa das Fabriksgebäude der Firma Spula in Wolkersdorf (NÖ). 1973 trat Friedrich Holey in den Dienst des Bautenministeriums (später Wirtschaftsministerium) ein, wo er bis zu seiner Pensionierung für die Hochbauten des Straßenbaus zuständig war.
Friedrich Weinkopf - Friedrich Weinkopf (1917-1970) studierte 1935/36 und von 1937 bis 1946 Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien war er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Realisierung mehrerer großer Wohnhausanlagen beteiligt. So plante Friedrich Weinkopf etwa zusammen mit Konrad Gollob und Ernst Lederer-Ponzer die Anlagen Liebenstraße 36-40 in Wien 12 (1963-1965) und Oswaldgasse 15-19 in Wien 12 (1970-1972). Das Wohnhaus Mildeplatz 7 in Wien 16 (1958/59) plante er eigenständig.
Edgar Göth - Edgar Göth (geb. 1933) studierte von 1952 bis 1957 an der Akademie für angewandte Kunst in Wien, wo er die Meisterklasse von Prof. Franz Schuster besuchte. Nach seinem Studium war er einige Jahre in Stockholm als Architekt beschäftigt. 1963 kehrte er nach Wien zurück, wo er bis zu seiner Pensionierung 1998 als selbstständiger Architekt vor allem für die Gemeinde Wien tätig war. Zu seinen wichtigsten Bauten gehören die Wohnhausanlagen Engerthstraße 150 (Wien 2; 1974-1979, gemeinsam mit Arch. Fickl) und Vorgartenstraße 177 (Wien 2; 1979-1984).
Harald Scheidl - Keine biografischen Daten vorhanden.
Adolf Svancar - Adolf Svancar (1907-1978) ist 1927/28 als Student der Bildhauerei bei Eugen Steinhof an der Hochschule für angewandte Kunst nachweisbar. Über seine weitere Ausbildung gibt es keine Informationen. Für die Gemeinde Wien war Adolf Svancar an der Errichtung mehrerer Wohnhausanlagen beteiligt. Eigenständig plante er etwa die Wohnhäuser Grundsteingasse 66 in Wien 16 (1978/79) und Stumpergasse 42 in Wien 6 (1975-1978).
Günther Ludwig - Günther Ludwig (geb. 1930) studierte in den 1950er-Jahren an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Lois Welzenbacher. Für die Gemeinde Wien entwarf er unter anderem die Wohnhausanlage Gartengasse 9-11 in Wien 5 (1967-1968) und als Mitglied einer größeren Arbeitsgruppe die Bauteile II-IV der Siedlung Thürndlhofstraße 20-24 in Wien 11 (1971/72).
Rudolf Angelides - Der in Konstantinopel (heute Istanbul/Türkei) geborene Rudolf Angelides (1917-2000) studierte ab 1937 Architektur an der Technischen Hochschule Wien, wo er 1943 während eines Studienurlaubs vom Kriegsdienst sein Diplom erhielt. Nach dem Krieg war er zunächst bei der Baufirma Schärdinger und später im Büro von Robert Kotas beschäftigt. 1951 machte sich Angelides als Architekt selbständig, wobei er neben zahlreichen Wohnbauten vor allem auch Gebäude für das evangelische Kirchenbauamt ausführte. So wurden unter anderem die evangelischen Kirchen in Berndorf (NÖ, 1958), in Bruck/Leitha (NÖ, 1962) und die evangelischen Gemeindezentren Sebastianplatz 4 in Wien 3 (1958) und Jagdschlossgasse 44 in Wien 13 (samt Kirche, 1957-1960) nach seinen Plänen errichtet.
Walter Hübner - Walter Hübner (1902-1988) studierte von 1920 bis 1925 Architektur an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien war er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Realisierung mehrerer großer Wohnhausanlagen beteiligt, wie etwa der Anlagen Troststraße 20-30 in Wien 10 (1952/53) und Langobardenstraße 23-27 in Wien 22 (1950-1959).
Ludwig Hammerschmid - Ludwig Hammerschmid (1911-2001) war vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Errichtung mehrerer großer Wohnhausanlagen der Gemeinde Wien beteiligt, wie etwa der Anlagen Thürnlhofstraße 20-24 in Wien 11 (1971/72) und Pantucekgasse 9-11 (1972/73) und 33 (1969/70) in Wien 11. Das Wohnhaus Franzensgasse 17 in Wien 5 (1976/77) plante er eigenständig.
Kurt Neugebauer - Kurt Neugebauer (geb. 1926) studierte ab 1948 bei Lois Welzenbacher an der Akademie der bildenden Künste Wien. Für die Gemeinde Wien war er vorwiegend in Arbeitsgemeinschaften an der Errichtung mehrerer großer Wohnhausanlagen beteiligt, wie etwa der Anlagen Salisstraße 5-15 in Wien 14 (1974-1976) und Aribogasse 28 in Wien 22 (1963).
Richard Praun - Richard Praun (1909-1972) studierte ab 1926 an der Wiener Kunstgewerbeschule und im Anschluss an der Akademie der bildenden Künste. Er arbeitete zunächst im Büro von Clemens Holzmeister mit und führte danach zahlreiche Großprojekte für die NS-Rüstung aus. Nach Kriegsende wurde er u. a. mit dem Wiederaufbau des Oberen und Unteren Belvederes betraut. Praun plante aber auch zahlreiche Industriebauten in Wien und Niederösterreich. Für die Gemeinde Wien entstand die Wohnhausanlage Kaisermühlendamm nach seinen Entwürfen.