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Leonhardgasse 2-10

Fakten

Leonhardgasse 2-10

Leonhardgasse 2-10, 1030 Wien

Baujahr: 1957-1958

Wohnungen: 332

Architekt: Hermann Stiegholzer, Hilde Schwaiger, Hermann Aichinger, Heinrich Reitstätter, Ferdinand Riedl, Robert Kotas

Weitere Adressen

Hainburger Straße 70, 1030 Wien

Baumgasse 45-53, 1030 Wien

Fiakerplatz 8, 1030 Wien

Wohnen in Wien

Ab 1949 war der Wohnbau zahlenmäßig wieder auf dem Niveau des "Roten Wien" der Zwischenkriegszeit. Doch noch war die Bevölkerung verarmt und oft obdachlos. Kleine Duplex-Wohnungen, die später zusammengelegt werden konnten, linderten schließlich die Wohnungsnot. 1951 wurde Franz Jonas, Sohn einer Arbeiterfamilie, Bürgermeister von Wien. In seine Amtszeit fiel die rege Bautätigkeit im Rahmen des Projektes "Sozialer Städtebau" ab 1952. Das 8-Punkte-Programm hatte die Trennung von Wohn- und Gewerbebereichen, eine Auflockerung der Wohnbereiche sowie die Assanierung einzelner Viertel zum Ziel. Die standardmäßige Ausstattung der Wohnungen wurde verbessert - alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.

Geschichte

1955 begann der Abriss des als "Dörfel" bezeichneten Alt-Erdberg, das aus großteils ebenerdigen, lang gestreckten Hofanlagen zwischen Baumgasse und Erdbergstraße bestand und bis 1918 zumeist von Fuhrwerkern und deren Familien bewohnt war. Bis 1963 wurden anstelle von 120 ebenerdigen Substandardwohnungen im Bereich des heutigen Fiakerplatzes 692 Wohnungen mit Lokalen, Kindergärten und Jugendzentren errichtet. Im Zentrum des Assanierungsgebietes liegt der 1991 neu gestaltete Fiakerplatz.

Die Architektur

Die Wohnhausanlage erstreckt sich über 19 Stiegen entlang der Leonhardgasse und des Fiakerplatzes von der Baumgasse bis zur Hainburger Straße. Die lange Front am Fiakerplatz ist im Erdgeschoß zum Teil als Geschäftszone ausgebildet. Gegliedert wird die Fassade durch farblich abgehobene Fensterachsen mit französischen Fenstern, die markante, sich nach oben hin verjüngende Rahmen haben. Alle übrigen Fenster haben nur schwach vertiefte Rahmen. An der rechten Gebäudeseite ist ein siebenachsiger Risalit ausgebildet, in den der Durchgang zum Innenhof eingeschnitten ist.

Die Gebäude entlang der Leonhardgasse schließen nicht direkt an das Gebäude am Fiakerplatz an. Hier wird ein offener Durchgang frei gelassen, außerdem ist der erste Gebäudeteil etwas zurück versetzt. Die lange Front wird durch die Farbgebung in vier Blöcke gegliedert. Zusätzlich werden die Fassaden der Leonhardgasse und der Baumgasse durch mit Balkonen versehene Achsen rhythmisiert. Zwei mit Nuten überzogene Erkerachsen am Ende der Leonhardgasse setzen besondere Akzente. Sie sind das Pendant zum leicht vorgezogenen Fiakerplatz-Block am anderen Ende der Leonhardgasse. Der Zugang zu den Stiegenhäusern erfolgt vom Innenhof, der durch einen langen Flügel in zwei Bereiche geteilt wird. Die Hofseiten sind großzügig mit Balkonen ausgestattet. Variationen bieten die unterschiedlichen Rahmungen der Zugänge. Die Fensterachsen über den Eingängen sind zum Teil deutlich als Erker vorgezogen. Risalite bzw. ausgebaute Dachgeschoße geben den beiden freistehenden Gebäuden im großen Hof ein symmetrisches Äußeres. Dezente Nutungen setzen an ihnen besondere Akzente.

... und die Kunst

Am Gebäudeteil Hainburger Straße 70 befindet sich ein von Otto Trubel gestaltetes Mosaik mit Alt-Erdberger Häusern vor der Assanierung (1957/58). An einem der Häuser ist auch die heute in der Wohnhausanlage integrierte Kapelle zu erkennen.

An der Adresse Leonhardgasse 4 befindet sich eine Kapelle mit steinerner Mutter Gottes (Magna Mater Austriae, Nachbildung der Mariazeller Muttergottes). Zu Füßen des Gnadenbildes ist eine Türkenkugel von 1683 eingemauert. Die Gnadenstatue war ursprünglich 1713 über Pestgräbern aufgestellt worden. 1815 ist über ihr die Kapelle an einem Dorfhaus errichtet worden, 1944/45 wurde sie zum Teil zerstört und 1947 wieder restauriert. Im Zuge der Assanierung von Alt-Erdberg wurde die Kapelle unweit des ursprünglichen Standortes an die Wohnhausanlage angebaut.

An der Ecke Leonhardgasse/Baumgasse ist ein Relieffeld mit Schriftzug von Ilse Pompe (1955/57) angebracht, das an die Assanierung Erdbergs erinnert. Es zeigt Baumaschinen, Arbeiter und spielende Kinder.

Der Name

Benannt wurde die Leonhardgasse 1878 nach dem Hausschild "Zum hl. Leonhard", das sich einst an der Stelle Baumgasse 35 befand.

Architekten

Hermann Stiegholzer - Hermann Stiegholzer (1894-1982) studierte ab 1915 an der Akademie der bildenden Künste Wien, wo er nach kriegsbedingten Unterbrechungen 1924 bis 1926 die Meisterschule von Peter Behrens besuchte. Bereits Ende der 1920er-Jahre entstanden erste Wohnbauten nach seinen Entwürfen, wie etwa das Gemeindewohnhaus Gebauergasse 10 in Wien 21. In dieser Zeit ging Stiegholzer eine Arbeitsgemeinschaft mit Herbert Kastinger ein, in der vor allem Wohnhäuser entstanden. Wegweisend für ähnliche Bauaufgaben wurde das von ihnen geplante Arbeitsamt für Bauarbeiter (Herbststraße 6-10, Wien 16; nicht erhalten). In den 1950er-Jahren beteiligte sich Stiegholzer am Wiederaufbau und realisierte mehrere Wohnhäuser für die Gemeinde Wien.

Hilde Schwaiger - Hilde Schwaiger (geb. 1922, verehelichte Withalm) studierte ab 1942 an der Technischen Hochschule Wien. Für die Gemeinde Wien entwarf sie den Bauteil Sebastianplatz 5 des Franz-Seitler-Hofes in Wien 3 (1957/58). Im Zuge der Assanierung Erdbergs war Schwaiger auch an den Plänen zur Wohnhausanlage Leonhardgasse 2-10 in Wien 3 (1957/58) beteiligt.

Hermann Aichinger - Hermann Aichinger (1885-1962) studierte - ebenso wie sein späterer Arbeitskollege Heinrich Schmid - an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Otto Wagner. Das 1912 gegründete Architekturbüro Schmid & Aichinger war das meistbeschäftigte des Wohnbauprogramms des "Roten Wien". Auch in den späten 1930er- und in den 1940er-Jahren erhielt das Büro noch prestigeträchtige Aufträge. In dieser Zeit entstanden unter anderem das Wohn- und Geschäftshaus "Bärenmühle" (Wien 4, Operngasse 18-20) und das RAVAG-Gebäude (Wien 4, Argentinierstraße 30a; gemeinsam mit Clemens Holzmeister).

Heinrich Reitstätter - Heinrich Reitstätter (1903-1971) studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien. In Wien realisierte er auch den Großteil seiner Wohnbauprojekte, darunter die kommunale Wohnhausanlage in der Pfeilgasse 10-12, Wien 8. In Salzburg zeichnete er für die Bauleitung des "Hotel Europa" verantwortlich (Pläne von Josef Bevcar). Zudem plante er den Umbau einiger Filialen der Creditanstalt-Bankverein AG in Salzburg und Wien.

Ferdinand Riedl - Ferdinand Riedl (geb. 1920) studierte zunächst von 1939 bis 1941 an der Technischen Hochschule Wien und von 1941 bis 1944 an der Akademie der bildenden Künste Dresden. Von 1945 bis 1998 führte er ein eigenes Architekturbüro in Wien und von 1969 bis 1990 zudem in München. Zahlreiche Wohn- und Gewerbebauten wurden weltweit nach Ferdinand Riedls Plänen ausgeführt, darunter auch ein 16-stöckiges Hotel in Oslo/Norwegen und ein 1.000-Betten-Krankenhaus in Caracas/Venezuela. In Deutschland plante er etwa für die Olympiade 1972 ein Wohnhaus mit Einkaufszentrum und ein Ärztehochhaus mit Wohnungen, in Karlsruhe konnte Ferdinand Riedl das Hotel Hilton realisieren. Unter seinen zahlreichen Bauwerken in Wien befindet sich auch das Generali-Center in Wien 6, Mariahilfer Straße 77-79 (mit Hannes Lintl). Besondere Verdienste erlangte er auch als Musikwissenschafter; so war er 1966 Gründungsmitglied des Vereins der Freunde der Wiener Staatsoper. 2005 wurde Ferdinand Riedl das Goldene Ehrenzeichen 1. Klasse der Republik Österreich verliehen.

Robert Kotas - Robert Kotas (1904-1973) wurde zunächst als Tischler ausgebildet und studierte von 1929 bis 1933 an der Akademie der bildenden Künste bei Clemens Holzmeister. In den 1950er- und 1960er-Jahren wurde er durch seine zahlreichen Kino-Neu- und Umbauten sozusagen zum "Lichtspiel-Spezialisten". Aus seinem Büro stammen neben der Adaptierung des Metro-Kinos (Johannesgasse, Wien 1) auch die Pläne für den Umbau des Flotten-Kinos in der Mariahilfer Straße (1953), für den Neubau des Capitol-Kinos in der Kundmanngasse in Erdberg (1963) und für das legendäre, noch heute original erhaltene Gartenbaukino am Parkring (1960).