Hainburger Straße 57+61
Hainburger Straße 57+61
Hainburger Straße 57, 1030 WienBaujahr: 1906
Wohnungen: 121
Architekt: Wilhelm Glattes, Kurt Nehrer, Fritz Purr, Friedrich Erhart
Weitere Adressen
Gestettengasse 8a, 1030 Wien
Fiakerplatz 1, 1030 Wien
Gestettengasse 10, 1030 Wien
Gestettengasse 6a, 1030 Wien
Wohnen in Wien
Im 19. Jahrhundert wuchs als Folge der massiven Industrialisierung die Arbeiterschicht stark an, die Einwohnerzahl Wiens explodierte, vor allem auch durch den Zuzug aus den ländlichen Gebieten der Donaumonarchie. Die nötigen Wohnungen wurden nahezu ausschließlich von Privaten gewinnorientiert gebaut. Mietskasernen mit so genannten "Bassena-Wohnungen" - Zimmer, Küche, Wasser und WC auf dem Gang - entstanden. In den Jahren des Ersten Weltkrieges stagnierte die Bautätigkeit.In den 1950er-Jahren ging es vor allem darum, Zerstörtes wieder aufzubauen und viele neue Wohnungen zu errichten. In den kommunalen Wohnbauten dieser Zeit finden sich die ersten Ansätze der sich später durchsetzenden Zeilenbauweise, die bis heute die großen Vorstadtsiedlungen prägt. Die Wohnbauten wurden größer, höher und waren verstärkt in Blockform gestaltet. Das Flachdach setzte sich durch. Alle neu gebauten Wohnungen waren mit Badezimmern und WC ausgestattet und die Mindestgröße wurde von 42 auf 55 Quadratmeter angehoben.
Geschichte
1955 begann der Abriss des als "Dörfel" bezeichneten Alt-Erdberg, das aus großteils ebenerdigen, langgestreckten Hofanlagen zwischen Baumgasse und Erdbergstraße bestand und bis 1918 zumeist von Fuhrwerkern und deren Familien bewohnt war. Bis 1963 waren anstelle von 120 ebenerdigen Substandardwohnungen im Bereich des heutigen Fiakerplatzes 692 Wohnungen mit Lokalen, Kindergärten und Jugendzentren errichtet worden. Im Zentrum des Assanierungsgebietes liegt der 1991 neu gestaltete Fiakerplatz.
Die Architektur
Die Gebäude der Wohnhausanlage wurden in einem Zeitraum von fast 60 Jahren in drei unterschiedlichen Bauphasen errichtet. Bereits um 1900 entstanden anstelle der ein- bis zweigeschoßigen Alt-Erdberger Häuser mehrgeschoßige Mietshäuser, wie das 1906 vom Baumeister Friedrich Erhart erbaute Haus Hainburger Straße 59. Die Fassade ist von schlichtem, späthistoristischem Formenvokabular geprägt. Massive Gesimse trennen das erste vom zweiten Oberschoß und setzen das oberste Stockwerk deutlich ab. Sind die Fenster im ersten Obergeschoß nur mit Konsolen bekrönt, betonen kräftige Gesimsverdachungen und Segmentgiebel das zweite Stockwerk als Hauptgeschoß. Pilaster fassen das zweite und dritte Stockwerk zusammen und setzen die breiten Außenachsen risalitartig ab. 1949/50 ließ das Wiener Stadtbauamt nach den Plänen von Wilhelm Glattes das Wohnhaus Hainburger Straße 57 (samt Hintergebäude in der Gestettengasse) errichten. Die Fensterreihe des Erdgeschoßes wird durch Gesimse zu einem Band zusammengefasst, wodurch die Länge der Front betont wird. An den Obergeschoßen springt ein über den beiden zentralen Achsen liegender Erker vor. Zusammen mit den beiden Dachausbauten setzt er an der langen Front vertikale Akzente, die durch die markanten Dachgesimse jedoch deutlich eingeschränkt bleiben. Die jeweils vier seitlich liegenden Fensterachsen sind, mit einer dezenten Rahmung versehen, gleichmäßig in die Fassade eingeschnitten. Die Fenster der äußersten Achsen sind deutlich breiter und etwas abgesetzt angeordnet. Zwei nachträglich errichtete Aufzugstürme gliedern die schlichte Hoffront. Die Hoffassade des an der Gestettengasse liegenden Hintergebäudes wird von einer 1990 errichteten Balkonkonstruktion dominiert. Im Zuge der Assanierung wurden 1960 die beiden Häuser Nr. 57 und 59 durch angrenzende Neubauten (Architekten: Fritz Purr und Kurt Nehrer), die sich von der Hainburger Straße über den höher gelegenen Fiakerplatz in die Gestettengasse erstrecken, in eine geschlossene Hofanlage integriert. An der Hainburger Straße leitet ein schlichtes, sechsachsiges Gebäude vom Altbau zum Gebäude am Fiakerplatz über. Die Front wird durch Achsen kleiner und Achsen französischer Fenster, die mittels dezenter Rahmungen in die Fassade eingesetzt sind, strukturiert. Der anschließende, auf den Fiakerplatz ausgerichtete Block beherbergt im Erdgeschoß Geschäftslokale. Durch die regelmäßig angeordneten Achsen französischer Fenster erhält die Fassade ein symmetrisches Bild, welches durch den breiten Dachaufbau und die dem ersten Obergeschoß vorgelagerten Balkone unterstrichen wird. Der die Hofanlage an der Gestettengasse schließende Bau wird durch die straßenseitig liegenden Stiegenhausfenster gegliedert. Das Erdgeschoß beherbergt Werkstättenräumlichkeiten und zwei mittig gelegene Hofeinfahrten.
... und die Kunst
Im Hof des Hauses Nr. 57 befindet sich ein von Hermann Knesl gestalteter Wandbrunnen mit der Figurengruppe "Die Geschwister" (1950). An der Stiege Ecke Fiakerplatz/Gestettengasse ist die Bronzeplastik "Der Baumsetzer" (1956 - 1960) von Franz Fischer aufgestellt.
Der Name
Die Straße wurde Ende des 19. Jahrhunderts zur Entlastung der Landstraßer Hauptstraße angelegt. Benannt ist sie nach der Stadt Hainburg an der Donau, in deren Richtung sie führt.
Architekten
Wilhelm Glattes - Wilhelm Glattes (1904-1975) war bis zu seiner Pensionierung im Wiener Stadtbauamt als Architekt tätig. In seiner Funktion plante er unter anderem das Wohnhaus Hainburger Straße 57 in Wien 3 (1949/50) und zusammen mit Ludwig Schmid und Johann Stöhr die Anlage Ortliebgasse 35-37 in Wien 17 (1953/54).
Kurt Nehrer - Kurt Nehrer (1910-1965) studierte an der Technischen Hochschule Wien, wo er die Meisterschule von Siegfried Theiß besuchte, in dessen Büro er auch vorübergehend beschäftigt war. Nach seiner Promotion 1935 war er vor allem mit der Einrichtung von Spitälern, Lazaretten und Ordinationsräumen beschäftigt. Während des Zweiten Weltkrieges plante er neben Lazarettbauten auch mehrere Fliegerhorste. Nach 1945 etablierte er sich als Privat- und Industriearchitekt.
Fritz Purr - Fritz Purr (1905-1985) studierte Architektur an der Akademie für bildende Kunst bei Peter Behrens, wo er den Meisterklassepreis in Verbindung mit einem Reisestipendium gewann. Dieses führte ihn nach New York, wo er an der Planung der Radio City Music Hall im Rockefeller Center (1931) beteiligt war. 1932 machte er sich in Wien als Architekt selbständig. Hier war er nach 1945 an der Errichtung zahlreicher Wohnhausanlagen beteiligt. Sein prominentestes Bauwerk steht Am Graben 31 in Wien 1 (1951/52).
Friedrich Erhart - Friedrich Erhart (1874-1910) besuchte die Werkmeisterschule an der Staatsgewerbeschule Wien und legte 1903 die Baumeisterprüfung ab. Zusammen mit Ferdinand Krenz geht er eine Arbeitsgemeinschaft ein, aus der nur wenige Bauten überliefert sind, unter anderem die beiden Miethäuser Lustkandlgasse 25 - 27 (Wien 9, 1904/05) und Sobieskigasse 4a (Wien 9, 1905). Geprägt sind die Gebäude von späthistoristischem und in Andeutungen sezessionistischem Formenvokabular.