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Ketzergasse 312-314

Fakten

Ketzergasse 312-314

Ketzergasse 312-314, 1230 Wien

Baujahr: 1997-1998

Wohnungen: 18

Architekt: Johannes Zieser

Wohnen in Wien

In den 1990er-Jahren konzentrierte sich die Stadt Wien neben geförderten Sanierungen hauptsächlich darauf, die Stadt im Nordosten und Süden zu erweitern (21.000 Wohnungen in vier Jahren). In enger Zusammenarbeit mit der Stadtplanung wurden großflächig Siedlungsgebiete erschlossen, so zum Beispiel der Leberberg in Simmering. Die Gemeindebauten, die nun für eine breitere Bevölkerungsschicht zugänglich sind, passen sich den modernen Bevölkerungsstrukturen an, indem sie flexible Wohnungen auch für Alleinerziehende, ältere Menschen und Alleinstehende bieten. Zudem sparen sie durch eine nachhaltige Bauweise Betriebskosten und Energie.

Geschichte

Als Liesing 1909 zur Stadt ernannt wurde, erhielt es auch das Recht, ein eigenes Stadtwappen zu führen. Dieses zeigte - in Erinnerung an die Zerstörung durch die Türken 1683 - das Symbol eines Haselbaums mit Früchten unter einem Stadttor. Dieser Baum war als einziger von den Türken nicht verbrannt worden, da er von Konstantinopel nach Wien eingeführt worden war und sie an ihre Heimat erinnerte. In den beiden oberen Ecken des Wappens befinden sich ein Körbchen und ein Zahnrad. Ein Liesinger Stadtwappenstein mit eben diesen Motiven und der Jahreszahl 1924 wurde vor dem Vorgängerbau der heutigen Wohnhausanlage, der aus dieser Zeit stammte, aufgestellt. In den 1990er-Jahren wurde dieser abgerissen und durch den Neubau ersetzt. Der Stadtwappenstein ist aber noch heute vor der Anlage zu finden.

Die Architektur

Die viergeschoßige Wohnhausanlage mit zwei ungleich großen Trakten erstreckt sich in Nord-Süd-Ausrichtung auf einem rechteckigen Grundriss. Sie ist auf dem trapezförmigen Grundstück so von der Straße zurückversetzt, dass sie leicht abgewinkelt zum schrägen Verlauf der Ketzergasse, aber parallel zu den übrigen Grundstücksgrenzen liegt. Dadurch wird an der Straße ein kleines Gartenstück ausgebildet sowie daneben ein gepflasterter Vorplatz mit einem Baum.

Der kleinere Trakt, der nur etwa ein Fünftel der Grundfläche des anderen einnimmt, setzt mittig an der Ostseite des großen Traktes an. In dem schmalen Bereich zwischen den beiden Trakten ist ein Stiegenhaus mit Liftturm wie ein Gelenk eingestellt. Der zweiachsige, kleinere Trakt schließt im Osten direkt an ein dreigeschoßiges Althaus an. Eine Rampe führt zu einer Tiefgarageneinfahrt. Links davon ist in einem, in Anlehnung an das Althaus genuteten, aber blau gestrichenen Erdgeschoß ein zweiflügeliges Blechtor eingelassen. Darüber verläuft eine einfache Fensterachse sowie rechts daneben eine dreiflügelige, französische Fensterachse mit Brüstungen aus Lochblech. Das vierte Geschoß ist nach hinten versetzt, davor liegt eine Balkonterrasse. Hinter dem voll verglasten Stiegenhaus, das vom Boden bis zum Dach mit horizontal geschichteten Schutzglaspaneelen versehen ist, wurde mit dem ockerfarbenen Liftturm ein kräftiger Farbakzent gesetzt, der kubisch über das flache Satteldach hinausragt.

Die zum Stiegenhaus gewandte Seitenmauer des weit vorspringenden größeren Traktes, die nach einer französischen Fensterachse an das Stiegenhaus anschließt, wird im Erdgeschoß von einer langen, rechteckigen Horizontalöffnung durchbrochen. Ein dadurch belichteter Gang führt zum zweiteiligen, voll verglasten Eingang, der auf Höhe des Stiegenhauses liegt. Auf der anderen Gangseite ist das blaue Erdgeschoß wieder genutet; hier befindet sich der Fahrradabstellraum. Ein schmaler, umzäunter Gartenbereich erstreckt sich vor dem restlichen Erdgeschoß und kann von den dort angelegten Terrassen aus begangen werden. Vor dem Zaun steht ein Liesinger Stadtwappenstein aus dem Jahr 1924.

Der kompakte Baukörper des linken Traktes ist bis auf eine breite, geschlossene Mauerpartie zur linken Eckkante hin an der Straßenfassade großteils aufgebrochen. Ein dreizeiliges, vierspaltiges Rastersystem aus vertikalen Platten mit horizontaler Wellung und dazwischen eingespannten Lochgittern ist den Loggien in den beiden Obergeschoßen und den Terrassen im Erdgeschoß vorgeblendet. Das Dachgeschoß mit seiner unterteilten Balkonterrasse ist wie beim ersten Trakt zurückversetzt.

Nach einer breiten, geschlossenen Mauerpartie ist die sechsachsige westliche Längsfassade gleichmäßig mit hohen französischen Fenstern ausgestattet. Im Dachgeschoß wird die Brüstungskante der Straßenfassade wie ein Gurtgesims als schmale Leiste weitergezogen. Fünf dreiflügelige Fenster sind bündig darauf aufgesetzt. Anstelle eines sechsten Fensters findet sich an der Nord-West-Ecke eine optisch auffällige Loggia ohne Eckpfeiler. Im Erdgeschoß führen von jeder Achse Terrassentüren in den schmalen, abgezäunten Gartenraum.

Die Gebäuderückseite ist durch ihre Lage an einem abschüssigen Hang geprägt. Dieser ist mit Bäumen und Büschen bepflanzt. Am Fuß befinden sich zwei Spielplätze. Ein gepflasterter Weg mit Serpentinen sowie eine Stiege mit Geländer führen zum Eingang hinauf. Dieser liegt in einem Laubengang, begrenzt von zwei Pfeilern, und führt über ein Durchhaus zum Straßeneingang. Innen geht es seitlich zum Stiegen- und Lifthaus, das als zurückgesetzter ockerfarbener Quader ins Auge sticht. An den Hoffassaden ist wiederum bei beiden Trakten das Dachgeschoß zurückversetzt. Unterhalb der unterschnittenen Nord-West-Ecke des großen Traktes sind als äußere Achse zwei Balkone angebracht. Es folgen zwei Fensterachsen sowie eine weitere Balkonachse. Im Erdgeschoß führt unterhalb der Balkone eine dreiteilige Terrassentür in einen kleinen, erhöht liegenden, abgezäunten Vorgarten. Beiderseits der linken Eckkante befinden sich zwei weitere Fensterachsen, jene über dem Laubengang ist französisch. Auch die Hoffassade des Kurztraktes weist zwei französische Fensterachsen auf.

Insgesamt wird der Bau durch die spannungsreiche Variation von Geschlossenheit und Öffnung, von Waagrechter und Horizontaler, sowohl in der großen Form als auch im kleinteiligen formalen Spiel bestimmt.

Der Name

Die Ketzergasse ist die von der Triester Straße in Verlängerung der Ortsstraße abzweigende Verbindung Siebenhirten-Liesing-Rodaun. Wie die Altstraße verläuft sie vielfach gekrümmt. Der letzte Abschnitt ist die ehemalige Hauptstraße von Rodaun.

Architekten

Johannes Zieser - Johannes Zieser (geb. 1958 in St. Pölten/NÖ) studierte bis 1984 an der Technischen Hochschule Wien. Mit seinem in St. Pölten/NÖ ansässigen Büro konnte er zahlreiche öffentliche Gebäude und Wohnhäuser in Wien und Niederösterreich realisieren, wie etwa die Bezirkshauptmannschaft (samt Verbrauchermarkt) Melk/NÖ (2008), das Landespensionisten- und -pflegeheim Stockerau/NÖ (2006) und die Mittelschule Carlbergergasse 72 in Wien 23 (1999). In Wien 23 wurde auch die kommunale Wohnhausanlage Ketzergasse 312-314 (1997/98) nach seinen Plänen errichtet.